Startschuss für einen unabhängigen Solarmarkt in Europa China und USA setzen Europa unter Druck
Dass China grüne Zukunftstechnologien mit Milliarden subventioniert und den Ausbau der Erneuerbaren Energien im eigenen Land vorantreibt, ist nicht neu. Nirgendwo auf der Welt entstehen mehr Solarkapazitäten als in China. Sowohl beim Neubau von Photovoltaik-Kapazitäten bzw. den Plänen zum weiteren Ausbau, als auch beim Ausbau der Photovoltaik-Industrie entwickelt sich China weiterhin mit einer hohen Dynamik.
Europäische Importabhängigkeit von asiatischen Solarzellen
Rund 65 Prozent der heute weltweit eingesetzten Silizium-Solarzellen sind „made in China“. Inklusive der weiteren Herstellerländer Japan, Malaysia, Südkorea und Vietnam erreicht Asien sogar einen Anteil von 95 Prozent. Größere Solarproduzenten gibt es ansonsten nur in den USA und Kanada. Europa kommt gerade mal auf 0,4 Prozent. Dabei waren es deutsche Firmen wie Solarworld, Q-Cells und Centrotherm, die den ersten Solarboom in den 2000er Jahren auslösten und den Weltmarkt dominierten. Damals hatte die rot-grüne Bundesregierung mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als weltweit erste Regierung überhaupt eine kostendeckende Vergütung für den Photovoltaik-Strom eingeführt. In den 2010er Jahren kollabierte die hiesige Industrie, nachdem die Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel die EEG-Förderung gedeckelt hatte und chinesische Hersteller mit subventionierter Billigware auf den Markt drängten.
Heute gibt es in der EU nur noch drei Firmen, die die Photovoltaik-Grundprodukte Ingots und Wafer herstellen. Ingots bestehen aus Silizium, das aus dem Rohstoff Quarzsand herausgeschmolzen wird. Sie werden dann in hauchdünne Scheiben, die Wafer, zerschnitten, die die Hauptkomponenten der Solarzellen von Photovoltaik-Modulen sind.
„Buy American“
Nun wollen auch die USA gemäß ihres Mottos „Buy American“ die Ansiedelung von Wind- und Solarunternehmen in ihrem Land mit einem neuen Gesetz zur Stärkung der heimischen Wirtschaft, dem 430 Milliarden Dollar schweren „Inflation Reduction Act“, vorantreiben. Rund 370 Milliarden Dollar sollen in den Klimaschutz und die Energiesicherheit fließen.
Zum einen versprechen die USA Unternehmen, die in saubere Energie investieren, Steuergutschriften in Milliardenhöhe. Zum anderen müssen bei staatlich finanzierten Infrastrukturprojekten alle verwendeten Baumaterialien in den USA hergestellt worden sein oder aus Ländern bezogen werden, mit denen ein Freihandelsabkommen besteht. Ein Teil der Subventionen fließt an US-Unternehmen, die Windräder oder Solaranlagen mit US-Stahl herstellen.
Europa kontert mit dem „Industrieplan für den Grünen Deal“
Für die Europäische Union, die bisher kein Freihandelsabkommen mit den USA abgeschlossen hat, ist das neue Gesetz eine Hürde bei den wirtschaftlichen Beziehungen. Daher hat die Europäische Kommission am 1. Februar konkrete Maßnahmen angekündigt, mit denen sie die Bestrebungen der USA kontern und die weitere Abwanderung klimafreundlicher Industrien ins Ausland verhindern will. Mit dem „Industrieplan für den Grünen Deal“ soll die Produktion von Windrädern, Solaranlagen und weiteren Branchen in Europa gehalten bzw. zurückgeholt werden. Auch gegen China will man nun härter vorgehen.
Der „Industrieplan für den Grünen Deal“ soll ein günstigeres Umfeld für die Ausweitung der europäischen Produktionskapazitäten von CO2-neutralen Technologien und Produkten schaffen, was zur Erreichung der ehrgeizigen Klimaziele Europas erforderlich ist.
Die vier Säulen des Industrieplans
Der Industrieplan besteht aus vier Säulen:
1.) einem berechenbaren und vereinfachten Rechtsrahmen,
2.) der Beschleunigung des Zugangs zu Finanzmitteln,
3.) der Verbesserung der Kompetenzen und
4.) einem offenem Handel zur Sicherung resilienter Lieferketten.
Mit einem vereinfachten und beschleunigten Genehmigungsverfahren („Net-Zero Industry Act“), der Förderung europäischer strategischer Projekte und der Entwicklung von Normen zur Unterstützung des Technologieausbaus im gesamten Binnenmarkt soll die schnelle Einführung von Industriekapazitäten auf der Grundlage CO2-neutraler und erneuerbarer Technologien unterstützt werden.
Durch öffentliche Finanzierungen können in Verbindung mit weiteren Fortschritten bei der europäischen Kapitalmarktunion erhebliche private Finanzmittel mobilisiert werden. Zudem sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt gewährleistet und es den Mitgliedstaaten erleichtert werden, notwendige Beihilfen zur Beschleunigung des grünen Wandels zu gewähren.
Vom Übergang zu einer grünen Wirtschaft könnten zwischen 35 und 40 Prozent aller Arbeitsplätze betroffen sein. Daher sollen Akademien („Net-Zero Industry Academies“) für eine CO2-neutrale Industrie eingerichtet werden, um mit Weiterbildungs- und Umschulungsprogrammen in strategischen Branchen die Kompetenzen der erforderlichen Fachkräfte zu verbessern .
Durch den verstärkten Ausbau des europäischen Netzes von Freihandelsabkommen und anderen Formen der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern soll die globale Zusammenarbeit nach den Grundsätzen eines fairen Wettbewerbs und offenen Handels erfolgen und resiliente Lieferketten etabliert werden.
Verteidigung der europäischen Führungsrolle bei den erneuerbaren Technologien
Mit der Umsetzung des „Industrieplans für den Grünen Deal“ geht es um nichts weniger als die industrielle Führungsrolle der Europäischen Union im schnell wachsenden Sektor der CO2-neutralen und erneuerbaren Technologien. Und damit wird endlich das Kernproblem der deutschen und europäischen Energiewende angegangen: die Importabhängigkeit von Solarmodulen aus Asien, insbesondere aus China, sowie von Rohstoffen aus verschiedenen anderen Ländern. Mit dem Wiederaufbau einer deutschen bzw. europäischen Solarindustrie besteht nun die einmalige und vermutlich auf lange Sicht letzte Chance, sich aus dieser Importabhängigkeit zu befreien.
Nach Meinung von Experten müssten dazu etwa zwei Drittel des künftigen Bedarfs der Europäischen Union auch in der Europäischen Union hergestellt und nur der Rest importiert werden. Solarzellfabriken beispielsweise in Deutschland könnten mittlerweile ähnlich günstig produzieren wie die Konkurrenz aus Asien, da sie hoch automatisiert sind. Zudem wären es Photovoltaik-Zellen der dritten Generation, sogenannte Heterojunction- oder Topcon-Zellen, die höhere Wirkungsgrade als die chinesische Standardware erzielen. Und hier hat Europa bisher die Technologieführerschaft!
Quellen: Frankfurter Rundschau, IWR, Europäische Kommission, Februar 2023