Ausbau der Windkraft an Land in Deutschland nimmt 2023 wieder zu Ausbauziele des Erneuerbare-Energien-Gesetzes werden dennoch deutlich verfehlt
Nach jahrelangem Stillstand erhöhte sich der Bruttozubau von Windkraftanlagen in Deutschland in den ersten neun Monaten dieses Jahres um mehr als 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Von Januar bis September 2023 wurden 2.436 Megawatt Nennleistung für die Netzeinspeisung angeschlossen, im gesamten Jahr 2022 waren es gerade mal 2.405 Megawatt. Bliebe es bei dem jetzigen deutlich erhöhten Ausbautempo könnten bis Ende Dezember 3,2 Gigawatt erreicht werden.
Ein Drittel der neu installierten Leistung stammt aus dem Repowering
Besonders stark nahmen 2023 die Projektierungen zum Repowering von Bestandsanlagen zu. Bereits jedes dritte Megawatt Nennleistung resultierte aus der Errichtungen neuer moderner Hochleistungswindturbinen an bestehenden Windparkstandorten, für die dort im Tausch der Abriss deutlich leistungsschwächerer Altanlagen erfolgte. Dennoch bleibt der Windenergiezubau deutlich hinter den im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgehaltenen Ausbauzielen von jährlich 9 Gigawatt zurück.
Genehmigung von Windkraftanlagen erreicht neuen Rekordwert
Deutlich näher kommt die Windenergiebranche den EEG-Zielen bei den Windparkgenehmigungen. Von Januar bis September 2023 genehmigten die zuständigen Behörden Windkraftanlagen mit einer Leistung von insgesamt 5,2 Gigawatt, seit langem wieder ein Rekordwert. Bis Ende Dezember könnte sich der Wert der neu genehmigten Projekte noch weiter auf mindestens 6 Gigawatt erhöhen. Im Marktstammdatenregister hat die Berliner Fachagentur für Windenergie an Land außerdem ein noch ungenutztes Potenzial von mehr als 2.400 schon genehmigten Windenergieanlagen mit einer Leistung von 12,4 Gigawatt ausgemacht, deren Bau ebenfalls bald bevorstehen könnte.
Lange Genehmigungsverfahren bremsen zügige Entwicklung der Windkraft in Deutschland
Die Genehmigung durch die zuständigen Behörden gilt trotzdem als entscheidende Hürde bei der Realisierung aktueller Projekte. Laut der Fachagentur Windenergie an Land dauert es zurzeit durchschnittlich 24,5 Monate, bis eine lokale Behörde eine Windkraftanlage genehmigt.
„Das Problem ist, dass die Genehmigungen noch nicht an Tempo gewonnen haben. Auch wenn es beispielsweise in Niedersachsen im ersten Quartal einen deutlichen Zuwachs bei den Genehmigungen gab, lässt sich ein stabiler Trend über alle Bundesländer noch nicht erkennen“, kritisiert Bärbel Heidebroek, Präsidentin des Bundesverbands WindEnergie. „Aber in den Verfahren steckt auch eine unglaubliche Subjektivität. Deshalb fordern wir Standards und klare Prozesse, die der Behörde schnelle Entscheidungen ermöglichen. Da muss der Bund nachliefern.“
Realisierung einer Windkraftanlage dauert vier bis fünf Jahre
Nach erfolgter Genehmigung gibt es eine Ausschreibung, und erst dann kann der Bau einer Windkraftanlage beginnen. Nach Angaben des Bundesverbands Windenergie dauert es nach der Genehmigung im günstigsten Fall im Durchschnitt 20 Monate, bis eine neue Anlage an das Netz angeschlossen werden kann, d.h. von der Planung bis zur Inbetriebnahme vergehen mindestens vier bis fünf Jahre.
Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer bei VDMA Power Systems, fordert: „Es müssen vor allem Flächen bereitgestellt, Genehmigungsengpässe überwunden, Transporte erleichtert und Zertifizierungshürden bei den Türmen der Anlagen beseitigt werden."
Schleswig-Holstein führt beim Windkraftausbau, Süddeutschland hinkt hinterher
Außerdem beklagt die Windenergiebranche weiterhin ein deutliches Nord-Süd-Gefälle beim Ausbau der Windkraft. Während der Ausbau im Norden deutlich vorankommt, hinken vor allem die großen, verbrauchsintensiven süddeutschen Flächenländer Bayern und Baden-Württemberg hinterher. Allein in Schleswig-Holstein wurden von Januar bis September 2023 Windkraftanlagen mit einer Leistung von 868,5 Megawatt in Betrieb genommen. Im Süden Deutschlands waren es nur 169 Megawatt, was gerade einmal 6,9 Prozent des bundesweiten Zubauvolumens entspricht. Auch bei den deutschlandweiten Neugenehmigungen ist der relative Anteil der Südregion mit 392,7 Megawatt (7,5 Prozent) kaum höher.
„Mit Blick auf Deutschland zeigt sich hier: Der Süden muss endlich liefern, statt wie in Bayern weiter zu bremsen“, mahnt daher Felix Schmidt, Klimaexperte beim WWF Deutschland. „Nach wie vor findet der Zuwachs von Windkraft vorwiegend im Norden statt, obwohl im Süden freie planerisch ausgewiesene Flächen verfügbar sind. Dies verschärft bereits bestehende Netzengpässe und führt zur ineffizienten Abregelung von Erneuerbaren.“
Anteil der Erneuerbaren Energien soll bis 2030 auf 80 Prozent steigen Europäischer Wind Power Action Plan soll Windindustrie stärken
Die Bundesregierung hat deshalb in den vergangenen Jahren bereits verschiedene Maßnahmen beschlossen, um den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu beschleunigen und ihren Anteil am Bruttostromverbrauch bis 2030 auf mindestens 80 Prozent zu steigern. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2023 lag der Anteil der Erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch bei ca. 52 Prozent.
Windenergie-an-Land-Strategie soll Windkraftausbau in Deutschland beschleunigen
Mit seiner am 23. Mai 2023 im Rahmen eines zweiten Windkraftgipfels vorgestellten Windenergie-an-Land-Strategie strebt Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck mindestens eine Vervierfachung des derzeitigen Windkraftausbaus an, um das Ziel von 115 Gigawatt Windenergie bis 2030 zu erreichen.
„Im Fokus der Strategie stehen jetzt u.a. die schnelleren Genehmigungen für Windprojekte, kurzfristig Flächen zu mobilisieren und das Repowering zu beschleunigen. Auch der Transport von Windenergieanlagen muss erleichtert werden. Außerdem geht es darum, Geschäftsmodelle außerhalb des EEG zu flankieren und mehr Fachkräfte für den Windausbau zu gewinnen“, so Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Auch europäische Windindustrie muss gestärkt werden
Um Europas Energieversorgung unabhängig zu gestalten und langfristig die Nachhaltigkeit und Kosteneffizienz des EU-weiten Energiesystems zu sichern, hat die EU-Kommission im Mai 2022 Europas Energiestrategie „REPowerEU“ ins Leben gerufen. Diese Strategie sieht unter anderem den Ausbau der Windenergie von heute 205 Gigawatt auf 420 Gigawatt bis 2030 vor. Um dies zu erreichen, muss Europa jedoch seine Windenergieindustrie stärken und vor allem schneller ausbauen.
Neues Aktionspaket der EU-Kommission
Ende Oktober 2023 stellte die EU-Kommission nun ein neues Aktionspaket zur Beschleunigung des Windkraftausbaus vor. Es beschreibt eine Reihe von Maßnahmen sowohl für die EU als auch für die Mitgliedstaaten und die Industrie, die schnell umgesetzt werden und zusammen ein entscheidender Faktor sein können bei der Einhaltung der im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarten Klima- und Energieziele Europas.
Wind Power Action Plan
Der sogenannte „Wind Power Action Plan“ der EU-Kommission sieht unter anderem die Digitalisierung von Genehmigungsverfahren, die Vereinheitlichung von Auktionen in den Mitgliedsländern und den erleichterten Zugang zu Förderung vor. Außerdem will die EU-Kommission unfaire Handelspraktiken, die ausländische Hersteller von Windenergieanlagen begünstigen, und die Subventionierung importierter Waren beobachten, um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produzenten zu unterstützen.
„Dass die EU-Kommission hier nochmal ein Paket für die Windenergie aufgelegt hat, ist deutlich zu begrüßen. Der Aktionsplan enthält eine Vielzahl an guten Vorschlägen zur Stärkung der europäischen Windindustrie. Die tatsächliche Wirksamkeit der Vorschläge wird nun von der konkreten Ausgestaltung der Maßnahmen abhängen“, so Bärbel Heidebroek. „Oberstes Ziel aller Maßnahmen sollte es sein, die Wertschöpfung in der EU zu stärken. Dies ist ebenso wichtig zum Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wie zur Sicherung einer nachhaltigen und unabhängigen Energieversorgung.“
Kurze Fristen für die Umsetzung in nationales Recht
Darüber hinaus enthält der REPowerEU-Plan eine Reihe zusätzlicher gezielter Änderungen der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive, RED III), die nun zügig in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Für den Großteil der Vorschriften gilt eine Umsetzungsfrist für die Mitgliedsstaaten von 18 Monaten, einzelne Vorgaben müssen jedoch schneller umgesetzt werden. So gilt eine Frist von sechs Monaten, um Gebiete, die bisher schon für Erneuerbare Energien ausgewiesen wurden, zu sogenannten „Beschleunigungsgebieten“ zu erklären. Für diese Gebiete gelten besonders kurze und vereinfachte Genehmigungsverfahren unter der Voraussetzung, dass keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Reagiert die zuständige Behörde nicht innerhalb der vorgegebenen Frist, gilt der Antrag als genehmigt.
„Es ist an den Mitgliedstaaten, nun Hindernisse auszuräumen und die Vorschläge des Windpakets in entsprechenden Gesetzen zu verankern. Dennoch ist Europa weit davon entfernt, das eigene Klimaziel zu erreichen: Die installierte Windenergie-Kapazität muss sich bis 2030 mehr als verdoppeln. Dafür braucht es vor allem schnellere Genehmigungen und geeignete Flächen, um Planungs- und Investitionssicherheit zu verbessern“, fordert Felix Schmidt.
Die Branche braucht verlässliche Rahmenbedingungen
Wenn Deutschland die im Erneuerbare-Energien-Gesetz 2023 festgelegten Ausbauziele für die Windkraft von 115 Gigawatt bis 2030 bzw. 160 Gigawatt bis 2040 erreichen soll, ist es von entscheidender Bedeutung, dass sowohl die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen der Windenergie-an-Land-Strategie als auch der „Wind Power Action Plan“ der EU-Kommission rasch umgesetzt werden.
Dazu Bärbel Heidebroek: „Die Branche kann das leisten, wenn wir wirklich verlässliche Rahmenbedingungen bekommen und die Perspektive haben, dass die Rahmenbedingungen sich nicht von Legislaturperiode zu Legislaturperiode ändern.“
Quellen: Europäische Kommission, Europäischer Rat, BWE, BDEW; ZEIT ONLINE, Erneuerbare Energien, WWF, BMWK, Dezember 2023
Foto: Umweltfinanz ©Michael Horling