Agrar-PhotovoltaikEffiziente Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen
Unter Agrar-Photovoltaik oder Agri-PV (APV) versteht man die gleichzeitige Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Nahrungsmittelproduktion und die solare Energiegewinnung. Dabei kann Photovoltaik auf Freiflächen substanziell ausgebaut werden, ohne wertvolle Ressourcen an fruchtbarem Ackerboden nennenswert zu verbrauchen, da unter den Modulen weiterhin Ackerbau betrieben werden kann. Durch gezieltes Lichtmanagement werden außerdem sowohl die landwirtschaftlichen Erträge als auch die Energiegewinnung mittels Photovoltaik optimiert. Ziel ist die technische Optimierung einer APV-Anlage zum maximalen Photovoltaik-Ertrag bei gleichzeitig minimaler Beeinträchtigung des Pflanzenwachstums.
Pilotprojekt „APV Resola“ - Altbekanntes mit moderner Technik
Bereits 1981 wiesen Prof. Adolf Goetzberger, Gründer des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE, und Dr. Armin Zastrow zum ersten Mal auf die Vorteile der doppelten Flächennutzung hin. Sie bezogen sich dabei auf die schon damals stattfindende Diskussion einer möglichen Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungsmittelproduktion und Energieerzeugung und schlugen eine verbesserte Ausrichtung der PV-Module über der landwirtschaftlich genutzten Fläche vor, um die Erträge einer kombinierten Nutzung zu steigern.
Doch erst jetzt wurde in dem mehrjährigen Forschungsprojekt „APV Resola“ in Heggelbach am Bodensee das Zusammenspiel von Ackerbau und Solarmodulen wissenschaftlich untersucht. Auf einem der Äcker der Demeter-Hofgemeinschaft Heggelbach wurde im Jahr 2016 mit Beteiligung mehrerer Wissenschaftler u.a. der Universität Hohenheim und des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) aus Freiburg eine Forschungsanlage zur Doppelnutzung von Energiegewinnung und landwirtschaftlicher Produktion installiert. Die Versuchsfläche umfasst insgesamt 25.000 qm. Davon sind jedoch nur 2.500 qm mit einer Stahlkonstruktion überbaut, auf der Photovoltaikmodule installiert sind. Die restliche Fläche dient als Referenzfläche zum Vergleich der Ackererträge im Versuchszeitraum.
Die Solarmodule der APV-Anlage auf dem Demeter-Hof sind etwa sechs Meter über der Ackerfläche aufgeständert. Somit ergibt sich eine Durchfahrtshöhe von fünf Metern, damit auch große Traktoren und Mähdrescher sie befahren können. Die Solarzellen, sogenannte Bifaziale PV-Module, sind halbtransparent und können beidseitig Licht absorbieren, was den Stromertrag um acht bis zehn Prozent steigert. Große Abstände zwischen den Modulreihen ermöglichen es, dass die darunter angebauten Nutzpflanzen Weizen, Kleegras, Kartoffeln und Sellerie mindestens 6o Prozent der photosynthetisch aktiven Strahlung erhalten. Die Fundamente wurden mit dem vollständig rückbaufähigen System Spinnacker ausgeführt, welches einer Baumwurzel nachgebildet ist und schräg in den Boden ragt. Die installierte Leistung von 194,4 kWp kann jährlich 62 Haushalte (4 Personen, ca. 4.000 kWh Stromverbrauch) versorgen.
„Die Agriphotovoltaik ist so ausgelegt, dass die landwirtschaftliche Produktion im Vordergrund steht, die Stromproduktion sehen wir als Ergänzung“, erklärt Stephan Schindele, federführender Projektkoordinator des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE.
Gesteigerte Erträge bei kombinierter Landnutzung
Obwohl die Abstände zwischen den Modulreihen größer sind, erzeugt die APV-Anlage rund 83 Prozent des Stroms einer konventionellen Freianlage. Und trotz der Bodenverschattung, durch die die Sonnenstrahlung rund ein Drittel geringer ist als auf Freiflächen, werden teilweise über 100 Prozent der Ernteerträge normaler Felder erwirtschaftet.
„Das Kraut hier ist grüner, die Beschattung wirkt sich positiv aus in dem trockenen Sommer“, so Florian Reyer, Landwirt der Hofgemeinschaft Heggelbach. Schattenliebende Pflanzen profitieren am meisten, aber geringere Verdunstung und niedrigere Bodentemperaturen kommen allen Gewächsen zugute.
Bei den meisten Kulturpflanzen erzielten die Biobauern im Hitzesommer 2018 unter der APV-Anlage bessere Ergebnisse als auf den Vergleichsflächen daneben: Bei Sellerie lagen sie um zwölf Prozent, bei Kartoffeln und Winterweizen um je drei Prozent höher, nur bei Klee gab es ein Minus von acht Prozent.
„Rechnet man Stromerzeugung und Agrarerträge zusammen, dann erreichen wir eine Landnutzungseffizienz von 186 Prozent“, so ISE-Forscher Boris Farnung. Die Teilverschattung unter den Solarmodulen steigere die landwirtschaftlichen Ernteerträge und die hohe Sonneneinstrahlung die Solarstromproduktion. „Bezogen auf Kartoffeln ergibt sich eine Steigerung der Landnutzungseffizienz um 86 Prozent pro Hektar“, ergänzt Projektleiter Stephan Schindele.
Forschung und Monitoring sollen daher nicht nur den Einsatz von Solarmodulen bei Nutzpflanzen fördern, sondern auch zeigen, dass die Qualität der Früchte verbessert und Produktionskosten gesenkt werden können.
APV-Anlagen helfen bei der Anpassung an den Klimawandel
Neben der Entwicklung der Kulturpflanzen, deren Ertrag und der Ertragsqualität erhoben die Wissenschaftler der Universität Hohenheim auch Daten zu den mikroklimatischen Bedingungen unter und neben APV-Anlagen. Die photosynthetisch aktive Sonneneinstrahlung unter APV-Anlagen war rund 30 Prozent niedriger als auf der Referenzfläche. Aber neben der Sonneneinstrahlung beeinflusst eine APV-Anlage in erster Linie auch die Bodentemperatur und die Niederschlagsverteilung. Die Bodentemperatur unter APV-Anlagen lag im Frühjahr und Sommer unter jener der Referenzfläche, während die Lufttemperatur identisch war. In den heißen und trockenen Sommermonaten 2018 war die Bodenfeuchtigkeit im Weizenbestand unter APV-Anlagen höher als auf der Referenzfläche. In den Wintermonaten sowie bei den anderen Kulturen lag sie hingegen darunter.
„Wir gehen davon aus, dass die Pflanzen den von Trockenheit geprägten Hitzesommer 2018 durch die Verschattung unter den semitransparenten Solarmodulen besser verkrafteten“, sagt Agrarwissenschaftlerin Andrea Ehmann von der Universität Hohenheim. „Dadurch verdeutlicht sich auch das Potenzial der APV für aride Regionen, aber auch die Notwendigkeit weiterer Versuche in anderen Klimaregionen sowie mit zusätzlichen Kulturenarten“, ergänzt ihr Kollege Axel Weselek.
Weitere Pilotprojekte sollen daher zeigen, dass APV-Anlagen Landwirte bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen und gleichzeitig zur Dekarbonisierung und zum Klimaschutz beitragen können.
Nachhaltiger Pflanzenschutz durch APV-Anlagen
Doch APV-Anlagen haben noch weitere Vorteile: Mit ihrer Hilfe lässt sich Regenwasser für trockene Perioden sammeln, und die Versicherungsprämien gegen unwetterbedingte Ernteausfälle sind niedriger. Zudem lassen sich die Konstruktionen für den Pflanzenschutz nutzen, etwa um Schädlingsbefall oder Frost- und Hagelschäden zu mindern.
Außerdem reduziert eine APV-Anlage Abfall, sofern zum Schutz von Kulturpflanzen bisher Foliensysteme zum Einsatz kamen. „Die Solarmodule sind eine nachhaltigere Form, die Pflanzen zu schützen. Die klassischen Folienschutztunnel aus Plastik müssen alle sechs Jahre entsorgt und regelmäßig überprüft und abgespannt werden – insbesondere bei starkem Wind wie dieses Jahr. Hagel und extreme Hitze waren ebenfalls ein ständiges Risiko für die Folientunnel. Mit den Solarmodulen sind wir davon nicht mehr betroffen und gleichzeitig erzeugen wir nun grüne Energie", begeistert sich Obstbauer Piet Albers aus dem niederländischen Babberich.
Neue ökonomische Möglichkeiten für Landwirte
Zusätzlich wird die Wertschöpfung in den Regionen und die ländliche Entwicklung gefördert, da APV-Projekte besonders geeignet sind, dezentral von Landwirten, Gemeinden sowie klein- und mittelständischen Unternehmen genutzt zu werden. Für die Landwirtschaft ergeben sich so neuartige ökonomisch tragfähige Bewirtschaftungsmöglichkeiten. Wird der Solarstrom direkt vor Ort gespeichert und genutzt, ergeben sich für Landwirte durch Synergieeffekte zusätzliche Einkommensquellen und die Nutzung von landwirtschaftlichen Elektrofahrzeugen wird attraktiver.
„Wenn es die Politik zulässt, kann die Agriphotovoltaik die Antwort auf die Tank-oder-TelIer-Diskussion sein, denn technisch betrachtet können Landwirte beides: Durch die Doppelnutzung der Ackerflächen ihrer Kernaufgabe der Nahrungsmittelproduktion gerecht werden und zusätzlich durch die Bereitstellung von Solarstrom einen Beitrag zum Ausbau der Elektromobilität und zum Klimaschutz leisten“, so Stephan Schindele.
Projektstau durch bürokratische Hürden
„APV überzeugt viele Landwirte, weshalb die Nachfrage riesig ist“, sagt Boris Farnung vom Fraunhofer ISE. Doch obwohl die Versuchsanlage auf dem Hof Heggelbach bereits seit Herbst 2016 steht, arbeiten die Forscher des Fraunhofer ISE derzeit nur an zwei Nachfolgeprojekten: eines in Rheinland-Pfalz, wo eine Himbeer-Pflanzung mit Solarmodulen überdacht, und eines in Hessen, wo ein Weinberg mit einer APV-Anlage überbaut werden soll. Plantagen eignen sich besonders, weil die Solarpaneele niedriger installiert werden können als auf Ackerflächen. Weitere Vorhaben des ISE, etwa in einem Hopfenanbaugebiet in Bayern, stecken dagegen in der Planungsphase fest.
Die Gründe für den Projektstau sind hauptsächlich bürokratische Vorgaben. Denn an APV interessierte Bauern erleiden an anderer Stelle massive Einnahmeverluste. Da mit einer Solaranlage überbaute Felder nicht mehr als landwirtschaftliche Nutzfläche, sondern als Sondergebiet gelten, verlieren sie jeden Anspruch auf Agrarsubventionen aus EU-Töpfen. Zudem sieht das deutsche Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) keine Förderung von APV-Strom vor. Die Bauern müssen ihn also selbst verbrauchen oder vermarkten. Deshalb wünscht sich Farnung von der Politik „eine Art 1000-Äcker-Programm – vergleichbar mit dem 1000-Dächer-Programm, mit dem Bund und Länder in den 90er Jahren den Ausbau der Photovoltaik in Gang gebracht haben“.
Internationales Interesse an APV
Mittlerweile werden APV-Anlagen auch im Ausland bereits in mehreren Anwendungen an verschiedenen Standorten erfolgreich erprobt. Staatliche Förderprogramme unter anderem in Japan, China, Frankreich und den USA führten zwischen 2012 und 2019 zu einem Anstieg der global installierten APV-Leistung von ca. 3 MW auf knapp 3 GW.
In Frankreich, wo es vergleichbare Hürden wie in Deutschland nicht gibt, erzeugen Dutzende Solaranlagen Strom über Agrarflächen. Auch asiatische Länder mit großer Bevölkerungsdichte wie Japan und Südkorea fördern den Ausbau der Agriphotovoltaik. Und das Fraunhofer ISE exportiert seine APV-Technik in Länder, in denen das politische Interesse häufig größer ist als hierzulande. In Indien, Vietnam und auf den Fidji-Insel planen die Freiburger Forscher zusammen mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) PV-Anlagen sowohl über Ackerflächen als auch Aquakulturen. Beim Einsatz von APV in Indien rechnet das ISE mit 40 Prozent höheren Erträgen bei Tomaten und Baumwolle. „Im konkreten Fall gehen wir von einer Verdoppelung der Landnutzungseffizienz aus“, betont ISE-Projektleiter Max Trommsdorff.
Doch auch für Deutschland erwarten die Forscher des Fraunhofer ISE über kurz oder lang einen Durchbruch der Agriphotovoltaik. Das technische Potenzial liegt alleine in Deutschland bei einer Größenordnung von 1.700 GWp. Ihren Optimismus begründen sie mit dem Flächenbedarf, falls Solaranlagen einen Großteil des künftigen Stromverbrauchs decken sollen. „Die installierte Kapazität von derzeit knapp 50 Gigawatt Solarstrom müsste sich verzehnfachen, wenn Deutschland seinen Strombedarf überwiegend CO2-frei decken will“, rechnet Boris Farnung vor. Da PV-Anlagen derzeit knapp 0,1 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche bedecken, wären es in der Endausbaustufe rund ein Prozent. Der Nachweis einer erfolgreichen doppelten Flächennutzung in den Pilotprojekten könnte dieser deutschlandweit einzigartigen und neuen Technologie der Agriphotovoltaik daher zum Durchbruch verhelfen.
Quellen: Fraunhofer ISE, APV Resola, bizz energy, Sonnenseite, September 2020